Home
News
Press
Infos
Badische Zeitung vom Donnerstag, 10. August 2006

"Tendenz zur Deeskalation verstärkt"

BZ-Interview mit Albert Scherr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie

Seit 25 Jahren gibt es das Komitee für Grundrechte und Demokratie bereits. Jetzt ist es erstmalig auch in Freiburg in Erscheinung getreten. An den vergangenen beiden Samstagen begleiteten Mitglieder und Unterstützer der Organisation die Demonstrationen der linksalternativen Szene. Sie achteten darauf, dass niemand das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzte. Was ein Demonstrationsbeobachter konkret tut, wollte Beate Beule von Albert Scherr wissen. Er ist Professor an der Pädagogischen Hochschule und seit 15 Jahren im Komitee aktiv.

BZ: Glauben Sie, dass Sie mit dazu beigetragen haben, dass die Demo am vergangenen Samstag friedlich verlaufen ist?

Albert Scherr: Das kann ich nicht einschätzen. Aber ich habe die Hoffnung, dass unsere Anwesenheit die Tendenz zur Deeskalation verstärkt hat. Ich hatte den Eindruck, dass wir dieses Mal als neutrale Instanz akzeptiert wurden. Bei der Einkesselung eine Woche zuvor war das noch anders: Da hatte ich mich auch als Vermittler angeboten, aber weder Polizeidirektor Heiner Amann noch der Erste Bürgermeister Otto Neideck waren bereit, mit mir zu sprechen.

BZ: Liegt das vielleicht daran, dass man Sie bislang in Freiburg nicht kannte? Wie kam es dazu, dass Sie erst jetzt in Erscheinung getreten sind?

Scherr: Bislang gab es in Freiburg nur passive Mitglieder unseres Komitees. Ich selbst lebe erst seit drei Jahren in der Stadt. In dieser Zeit wurden mir keine heiklen Situationen bekannt. Jetzt hatten mich Mitglieder der Wagenburgszene angesprochen und um eine Demonstrationsbeobachtung gebeten.

BZ: Was ist Ihre Aufgabe?

Scherr: Das Komitee ist aus einer polizeikritischen Perspektive heraus entstanden. Denn es gab und gibt immer wieder Fälle, wo die Polizei und auch die örtlichen Verwaltungen versuchen, das Demonstrationsrecht einzuschränken. Neben dem direkten Demonstrationsgeschehen sehen wir uns aber auch die Vor- und Nachberichterstattung in den Medien genau an. Diese beeinflusst die Stimmung. Unsere Beobachtungen machen wir anschließend öffentlich.

BZ: Es gab viel Kritik an den massiven Polizeieinsätzen. Wie ist Ihre Meinung?

Scherr: Die Einkesselung bei der ersten Demo fand ich unverhältnismäßig. Vor allem die vielen ausgesprochenen Platzverweise halte ich auch rechtlich nicht für haltbar. Am vergangenen Samstag hat sich die Polizei meines Erachtens jedoch korrekt verhalten.

BZ: Hat sich die Polizeilinie verändert?

Scherr: Ich habe schon Demonstrationen erlebt, gegen die war die Freiburger Einkesselung vergleichsweise harmlos. Insgesamt gibt es bei der Polizei aber eine Tendenz zur Aufrüstung. Allein die Plastikschienbeinschützer der Polizisten wirken martialisch. Das erzeugt natürlich auch Stimmungslagen. Die Frage ist immer: Ist ein massiver Polizeieinsatz abschreckend oder provozierend?

BZ: Welche Strategie würden Sie den Verantwortlichen für die Zukunft raten?

Scherr: Da es in Freiburg einen Grundtenor für friedliche Lösungen gibt, könnte man im Vorfeld einen runden Tisch mit allen Beteiligten einrichten. Dafür sollten aber auch die Demonstranten meines Erachtens bereit sein, sich auf gewisse Regeln einzulassen. Es ist andernorts üblich, Demos anzumelden. Ich kenne keine andere deutsche Stadt, in der sich die Polizei so lange auf nicht angemeldete Demos einlässt. Auch wenn es in Freiburg Gründe gibt, an der Tradition unangemeldeter Demos festzuhalten, wäre es ein Schritt zur Eskalationsvermeidung, wenn die Veranstalter einen Ansprechpartner nennen und sich auf Absprachen über den Weg einzulassen würden.

 

d.i.y.against AT gmx DOT de