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Neue Freiburger Linie
Bis vor kurzem galt Freiburg als recht liberale Stadt. Seit der Räumung des d.i.y.-Camps glauben Antifas, dass die Polizei andere Saiten aufziehen will. von sebastian albrecht "Für mich heißt Deeskalation nicht, dass sich die Polizei zurücknimmt und wegschaut", erklärte Heiner Amann, der Leiter der Polizeidirektion Freiburg. Der Anlass der Äußerung waren die heftigen Kontroversen um die Räumung des Zeltplatzes der Teilnehmer eines internationalen Treffens mit dem Titel "do it yourself ? against the state", das am 26. Juli begonnen hatte und eigentlich bis 30. Juli hätte dauern sollen. Bis zu der Räumung hatte stets die so genannte Freiburger Linie gegolten: Bei öffentlichen Aktionen der linken Szene hielt sich die Polizei zurück, die Aktionen verliefen meist friedlich, und die Stadt mit ihrem grünen Oberbürgermeister genoss den Ruf großer Liberalität. Als Grund für das Abweichen von der bewährten Linie nennt die Polizei die Ereignisse um die Festnahme eines mutmaßlichen Sprayers am Abend des 27. Juli unweit des Autonomen Zentrums KTS, wo zu dieser Zeit ein Konzert stattfand. Besucher des Konzertes waren herbeigeströmt und hatten versucht, den Abtransport des jungen Mannes zu verhindern, was nach dem Eintreffen weiterer Polizeikräfte schließlich scheiterte. Einige Stunden später kehrte die Polizei mit einer Hundertschaft zurück, umstellte die KTS und verlangte, alle Personen, die sich im Gebäude verschanzt hatten, erkennungsdienstlich zu behandeln. Sie begründete den Einsatz damit, dass ein Beamter bei der Festnahme mit einem Wurfgeschoss schwer am Auge verletzt worden sei. Der Beamte wurde mittlerweile zweimal operiert, ob er dauerhafte Einschränkungen davontragen wird, steht noch nicht fest. Zwar zogen die Einsatzkräfte nach einer mehrstündigen Belagerung des Zentrums unverrichteter Dinge wieder ab. Dafür räumten sie am nächsten Tag das Zeltlager, in dem die Mehrzahl der Besucher des Kongresses untergekommen war, dessen Organisatoren zuvor ausdrücklich gesagt hatten, dass "gewalttätige Aktionen nicht geplant und nicht erwünscht" seien. Alle Personen, die nicht in Freiburg gemeldet sind, erhielten Platzverweise für das gesamte Stadtgebiet. Die Wagenburg der "Schattenparker", die unmittelbar neben dem Camp übergangsweise zu Hause ist, wurde ebenfalls abgeriegelt. Eine Bewohnerin des Platzes schildert die Situation: "Auf einmal waren der Platz und das Camp umstellt. Auch Leute, die eigentlich zur Wagenburg gehören, durften anfangs nicht auf den Platz. Erst nach langem Hin und Her, nach Feststellung der Personalien, war dies möglich. Ich fühlte mich in meinem eigenen Zuhause wie im Knast." Eine Party unter dem Motto "Reclaim the Streets", welche die verbliebenen Kongressbesucher am 29. Juli in der Innenstadt feiern wollten, endete in einem Polizeikessel. Den Passanten bot sich ein skurriler Anblick: Behelmte Polizisten in Kampfmontur hielten Demonstranten, die als Clowns oder Cheerleader verkleidet waren, und eine Sambagruppe in Schach. Mittlerweile mehren sich die Zweifel daran, dass die Verletzung des Beamten der einzige Grund war, weshalb die Polizei die "Freiburger Linie" aufgegeben hat. In einer Pressemitteilung ordnet die örtliche Antifa die Geschehnisse in die repressive Politik des Landes ein: "Seit Jahren versucht die baden-württembergische Landesregierung, die linke Szene im 'Ländle' zu zerschlagen, und geht systematisch gegen alternative Strukturen vor." Am vorigen Samstag demonstrierten ungefähr 300 Menschen gegen die Polizeieinsätze während des d.i.y.-Festivals. Dabei war die Polizei zwar in großer Anzahl präsent, zeigte sich aber zumeist wieder von ihrer gewohnten Seite. Das Verständnis von Deeskalation, das ihre Leitung offenbar hegt, lässt jedoch erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass dies auch künftig so bleiben wird.
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